Das Bilderverbot
Von Dr. Klaus Douglass, Pfarrer im Zentrum Verkündigung der EKHN und Buchautor
Luther hat in seinen Katechismen das Verbot, sich Bilder von Gott zu machen, weggelassen. Er war der Meinung, das beträfe nur die Götzenstatuen des Altertums und sei außerdem in dem Fremdgötterverbot inbegriffen. Außerdem wollte er den Bilderstürmern seiner Zeit nicht in die Hände spielen, die damals die Kirchen ausräumten und alle dort befindlichen Statuen und Gemälde zerstörten. Die Reformierten hingegen nahmen und nehmen das Bilderverbot sehr ernst. Für sie ist es das zweite der Zehn Gebote Gottes.
Wir sollen uns keine Bilder machen – weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist. Keine Götterfiguren, keine Sternbilder, keine Naturgottheiten, keine abgründigen Philosophien, so klug sie auch daherkommen mögen. Der Philosoph Immanuel Kant schrieb über das das Bilderverbot: „Vielleicht gibt es keine erhabenere Stelle im Gesetzbuche der Juden als das Gebot: Du sollst dir kein Bildnis machen.“ Ihm, dem klugen Denker, schien ein von allen menschlichen Vorstellungen gereinigter Gottesbegriff die angemessenste Art und Weise, von Gott zu reden. Wahrscheinlich würden sich dem heute viele Menschen anschließen. Freilich müssen wir uns fragen, ob das nicht auch wieder ein Gottesbild ist: die Vorstellung, dass Gott ein „rein geistiges“ Wesen sei. Und ob nicht Kant gerade in seiner vermeintlichen Hochschätzung des Bilderverbotes sich wiederum ein eigenes Bild von Gott machte.
Niemand kommt ohne Gottesbilder aus. Wenn wir glauben, werden wir immer auch eine Vorstellung davon haben, an was wir da glauben. Und wenn wir nicht glauben, haben wir ebenfalls ein Bild von dem, was wir da gedanklich ablehnen. Es ist gar nicht möglich, über Gott zu reden, ohne dabei ein Bild vor Augen zu haben. Das Bilderverbot richtet sich nicht gegen die Tatsache, dass unser Glaube Bilder und Vorstellungen braucht. Es wendet sich vielmehr dagegen, dass wir uns diese Bilder selber machen. Gott hat uns in der Bibel mit genügend Bildern versorgt, dem brauchen wir keine eigenen hinzufügen. Das Verbot, sich eigene Bilder zu machen, ist darum zunächst einmal gleichbedeutend mit dem Gebot, sich an den Bildern zu orientieren, die wir in der Bibel vorfinden: sie vorsichtig nachzubuchstabieren, sie auf unser Inneres wirken zu lassen, uns an ihnen entlangzutasten. Zwar gab es damals noch keine Bibel, aber es gab Offenbarung: etwa durch Feuerschein und Wolke, durch Mose, den großen Propheten u.v.m. Die Bibel ist das schriftliche Zeugnis von dieser Selbstoffenbarung Jahwes. In ihr finden wir vielerlei Bilder von Gott: Mal erscheint er als Vater, dann wieder als Mutter. Dem einen offenbart er sich im Feuer, dem anderen im Sturm und wieder einem anderen in einem „sanften Sausen“. Mal ist er König, ein andermal ein Weingärtner, dann ein betrogener Ehemann.
Die Bilder, die uns die Bibel von Gott malt, sind mit gutem Grund so vielfältig, ja manchmal sogar widersprüchlich. Gott lässt sich nicht in einem einzigen Bild einfangen. Wir kommen nicht ohne Bilder von ihm aus, wenn wir an ihn glauben oder von ihm reden wollen. Aber jedes Bild, das wir von ihm haben, zeigt immer nur einen Teilaspekt des Wesens und Handelns Gottes. Deshalb müssen wir bei jedem Bild, dass die Bibel uns vorgibt, sagen: „Ja, so ist Gott auch. Freilich ist das nicht das einzige, was die Bibel uns über Gott zu sagen hat.“ Um dem Bilderverbot gerecht zu werden, müssen wir zulassen, dass die verschiedenen biblischen Bilder von Gott sich gegenseitig ergänzen, korrigieren und in der Schwebe halten. Der Gott, der mir heute als Löwe begegnet, erscheint mir morgen vielleicht als Lamm. Darauf muss ich vorbereitet sein und das tue ich am besten, indem ich die ganze Fülle der biblischen Bilder von Gott auf mich wirken lasse und nicht das Bild anbete – selbst wenn es mir noch so hilfreich erscheint –, sondern den Gott dahinter.
Von Jesus Christus heißt es im Neuen Testament, er sei „das Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ (Kolosserbrief 1,15) bzw. der „Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens“ (Hebräerbrief 1,3). Dass Jesus das Bild Gottes schlechthin ist, bedeutet nicht, dass alle anderen Bilder, die die Bibel aufführt, ihre Berechtigung verlieren. Sie sind und bleiben notwendige Verstehenshilfen, Illustrationen und Ergänzungen. Vieles von dem, was wir in der Bibel über Gott lesen, können wir nicht so ohne weiteres in der Person Jesu Christi wiederfinden. Vor allem jene biblischen Bilder, die mit Macht, Ehre und Herrlichkeit zu tun haben. Und trotzdem ist das Bild, das Christus uns von Gott vor Augen malt, das entscheidende Kriterium für alle anderen Bilder, weil er – Jesus – das Wesen und den Charakter Gottes widerspiegelt. Ja, Gott ist ein König, aber die Art und Weise, wie er seine Herrschaft ausübt, können wir an Jesus ablesen. Gott ist und bleibt Richter, aber Jesus zeigt uns, dass es Gott darum geht, uns aufzurichten und nicht hinzurichten. Jesus ist das Bild Gottes schlechthin, weil er uns sein Wesen zeigt. In ihm sind alle anderen Bilder zusammengefasst und gebündelt wie die verschiedenen Farben in einem Prisma. Die Bilder der Bibel von Gott sind bunt und vielfältig und dürfen das auch bleiben. Wenn wir aber das Herz Gottes sehen wollen, müssen wir auf Jesus schauen.
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